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LET'S GO SCHROTTELN
von Horst Stümpfig
In Nürnberg mit dem Flugzeug zu starten ist ungefähr so, wie sich ein Gummiseil um die Fußgelenke zu binden, sich kopfüber vom Empire State Building zu stürzen und im letzten Augenblick - etwa einen Meter über dem Asphaltbelag - von dem Seil abgefangen zu werden.
"Welcome home" haucht der Pilot ins Mikrophone und startet die beiden Zweitaktmotoren seiner holländischen Sardinenbüchse. Kurz darauf startet auch die Stewardess ihre Routine-Pantomine und beschreibt lächelnd in der ersten Reihe turnend, wie man die Falltüre der Toilette im Notfall einzutreten hat und dass (sollte noch mehr schiefgehen) natürlich für kleine Beutelchen mit Sauerstoff gesorgt wurde, die dann automatisch vor den Gesichtern der Fluggäste baumeln würden.
Glaubt mir: Die Leute lieben solche Scherze. Wenigstens nennt die Fluggesellschaft KLM das Schwein beim Namen. Denn der Flugplan verheißt: Von Nürnberg nach Amsterdam mit dem CITY-HOPPER. Nicht nur die Namensähnlichkeit mit dem stadtbekannten WHOPPER von Burgerking ist offensichtlich, sondern auch die akuten Verfallssymptome des Körpers sind verblüffend ähnlich gelagert, sobald man in den unvergeßlichen Genuss dieser Zivilisationskrankheit kommt.
Denn Du wirst plötzlich kreidebleich im Gesicht, Dein Körper beginnt zu zittern, die Arme verkrampfen sich in den Armlehnen, dann bekommst Du Magensausen und am Ende ist es Dir speiübel!
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es sich hierbei um eines der bestgehütetsten Geheimnisse handelt. Auf jeden Fall konnte mir weder der Pilot noch die Stewardess ausreichend Antwort auf meine Frage geben, wie es möglich sein kann, dass ein Flugkörper mit einer Startgeschwindigkeit von knapp 65 Stundenkilometern am Ende der Startbahn abheben kann. Hier in Kalifornien würde man die Startbahn von Nürnberg als Acker bezeichnen. In Wahrheit handelt es sich aber um ein Minenfeld aus Furcht und Staunen. Außerdem ist sie viel zu kurz. Die City-Hoppers trudeln wie gewöhnlich auf einen Abgrund zu und wenn sie sich am Ende der Startbahn nicht in der Luft befinden sollten, wird kurzerhand die lokale Presse informiert.
Wir hatten wieder einmal Glück gehabt. Eine Windböhe hatte uns kurz vor Startbahnende regelrecht vom Rollfeld gerissen, worauf wir seitwärts wie ein Luftballon nach oben gezogen wurden. Halbvolle Kaffeetassen wurden durch den Mittelgang geschleudert, Zeitungen flatterten quer über die Sitzreihen hinweg und ich stellte mir ernsthaft die Frage, warum wir uns das alles immer wieder antaten.
Warum verlassen wir eine international ausgezeichnete Küche, Menschen, die unsere Sprache verstehen, straffe Matratzen mit schwerem Bettzeug, ungechlortes Trinkwasser und Toiletten auf die man sich setzen kann, ohne dem Nachbarn (bei selbiger Notdurft) in die Augen zu blicken???
Wozu mischen wir uns eigentlich in das Leben und die Kultur fremder Leute ein, die Baseballmützen in der Oper tragen und meinen, das Heintz Ketchup das Automobil erfunden hätte??? Wozu nach ihren Moskitos schlagen, ihre What-A-Burger vernichten, in kurzen Hosen vor ihren Fahrzeugen knien, um Kotflügel und Türen mit nach Hause zu schleppen, die vor knapp dreißig Jahren dieselbe Wegstrecke schon einmal zurückgelegt haben???
Die Antwort ist einfach: Wer einmal auf Californiens Schrottplätzen geschraubt hat, den zieht es immer wieder dorthin zurück. Zumal der Großeinkauf im Team seine besonderen Reize hat.
Let's go shopping!
Jeder hat so seine Vorbilder. Meines ist ein Traumteam bestehend aus vier Clubleuten, die mit Sicherheit als die Vier-Apokalyptischen Reiter der westamerikanischen Shoppingliga in die Geschichte eingehen werden.
Jürgen Hell, früher Deining, jetzt München;
Wolfgang Knauth, Kreuztal-Ferndorf, BRD;
Wolf Bonitz, Hannover, dialektbefreite Zone, BRD;
Kay Mertens, Usingen, Mittelhessen
Ich kann Euch sagen - nichts läßt mein Herz höher schlagen, als einem Einkaufsteam zuzusehen, das körperlich voll auf der Höhe, geistig unbeweglich und derart professionell ausgebildet ist, um in Einkaufszentren, auf Flohmärkten oder Schrottplätzen völlig hemmungslos zuzuschlagen. Ich spreche hier nicht vorn Amateuren, die um den Schlußverkaufspokal spielen und fünfzehn Minuten herumfummeln, ehe sie das Preisschild an einer Unterhose entdeckt haben. Nein, werte Leser, ich spreche von absoluten Topmännern, die an einem Tag 3430 Dollar für Levi's Jeans der Sorte 501 in schwarz, blau oder hellblau ausgeben und anschließend vierundvierzig Paar Timberlandschuhe kaufen um auch hundert Prozent sicher zu gehen, dass ein Paar davon der Freundin oder dem bescheuerten Nachbarn passt.
Die Rede ist hier von zielstrebigen en-bloc Abräumern, die Sekundenbruchteilen die Örtlichkeit taxieren, kurz das Ladevolumen des Station-Wagens überschlagen um dann (ohne jegliche Umschweife) den Verkäufer an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen:
Dem Anblick einer Gold-Master-Card und ihrer unbegrenzten Möglichkeiten.
Es ist nicht einfach in die höchste Shopping-Liga vorzustoßen. Ich weiß noch genau, welches Aufsehen Thomas erregte, als er bei einem Schrottplatzbesuch (es war einer der ersten) für ein paar Dollar einen 111-er Kotflügel erstand. Vereinsinterne Kritiker bekamen damals Anfälle und behaupteten, unser Ersatzteilversorger sei der Dekadenz der westamerikanischen Sitten verfallen.
In Wahrheit waren jene Kritiker gut zweihundert Jahre hinter dem Rest der amerikanischen Einkaufswelt zurück. Sie sitzen wahrscheinlich noch heute in der Garage herum, kehren die Rostkrümel Ihrer Fahrzeuge in akkurat beschriftete Tütchen oder schneiden wundersam anmutende Kunstwerke aus Blechtafeln, während der Rest des Clubs die einkaufstechnische Herausforderung großer californischer Schrottplätze angepackt hat.
Wie auch immer, das diesjährige Team hatte seine eigenen unumstößlichen Grundregeln:
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Jürgen Hell: Kaufe nie Mengen, die unter einen Flugzeugsitz passen könnten.
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Wolfgang Knauth: Frage grundsätzlich nicht nach Extras wie Leseleuchten oder Schlummerrollen in Gegenden, wo große schwarze Männer schwere Ledermäntel und Fellmützen tragen. Vor allem dann nicht, wenn es fünfundvierzig Grad im Schatten hat.
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Wolf Bonitz: Lass grundsätzlich die Finger von Sachen die größer sind als ein Vierzig-Fuß-Container.
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Kay Mertens: Frage Dich niemals: "Brauche ich wirklich eine Baseballmütze aus der ein vierzig Zentimeter langer Killerwal herausragt und Dich grinsend anstarrt?" Denn die Antwort könnte unter Umständen nein lauten.
Schrotteln ist nicht mehr wie früher. Nein, heutzutage muss diese Freizeitbeschäftigung unter die Kategorie Denksport eingestuft werden. Besonders in Los Angeles, einer Stadt, wo jeder zweite männliche Bürger über zwölf einen Minischrottplatz besitzt oder zumindest jemanden kennt der ein paar ausgediente Schrott-Fahrzeuge im Hintergarten stehen hat. Und was er nicht hat wird vermittelt, denn dafür gibt es ausreichend Provision.
Denn eins ist klar: Spätestens nach ein paar Tagen hat sich herumgesprochen, dass die verrückten Mercedes-vdh`ler wieder in der Region verweilen und sogleich stopft Dir jeder die Hosentaschen mit Visitenkarten voll und bekniet Dich, mal ganz unverbindlich vorbeizuschauen. Wenn Du Dich darauf einlässt verbringst Du unzählige Stunden in irgendwelchen Hintergärten irgendwelcher Leute, die Dir Tonnen undefinierbarer Blechteile in die Hände drücken und den Deal deines Lebens versprechen.
Spätestens nach zwei Wochen hat man die Nase dermaßen gestrichen voll, dass selbst ein Kay Mertens (der absolute Allroundshopper) anfängt jeglichen Kontakt mit den Einheimischen zu verweigern. Doch was er nicht wissen konnte ist, dass die Verkaufsmaschen gewiefter türkischer Teppichhändler Ihren Ursprung in der amerikanischen Trade-and-Sales-Business-Strategie hatten.
Egal, wie Du dich verhalten wirst: Zu guter letzt landest Du im Hintergarten eines Minischrottplatzbesitzers!
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Die LANDSMANN-Masche. Du stehst an der Straßenecke umringt von sechs Kleingärtenschrottplatzbesitzern, als ein Mann erscheint, der den anderen in tiefstem LA-Dialekt klarmacht. dass sie zu verschwinden hätten und sich dann in fließendem Deutsch an Dich wendet und feststellt: "Mann, sind die nicht echt lästig! Ich bin übrigens Deutscher. Woher kommen Sie? Pass auf! Egal welchen Landstrich Du nennst, er hat dort schon gewohnt. Er wird behaupten, er sei vor sieben Generationen nach Amerika gezogen und lädt Dich in aller Freundschaft zu einer Tasse echter Kaffeekrönung ein. Den Kaffee trinkst Du dann rein zufällig in seinem Hintergarten wo natürlich auch ein Haufen Schrott herumsteht.
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Die FREMDSPRACHEN-Masche. Das ist eine sehr beliebte Masche. Der Verkäufer pirscht sich ganz dicht an Dich heran und fragt: "Parlez-vous Francais?". Du schüttelst den Kopf. "Se habla espanol?" Du verneinst. "Sprechen Sie Deutsch?" Du beginnst zu zögern. Nachdem er jedes Land auf unserer Weltkugel durch hat, tippt er mal auf Fränkisch. Und glaub mir, sobald Du eine Sprache mit ihm gemeinsam hast, klebt er an Dir wie eine Strumpfhose in Neapel im Hochsommer, greift zum Funktelefon und ordert wortlos für dich den ersten Container.
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Die MEIN-OPA-WAR-IN-HEIDELBERG-UND-AUF-DEM-OKTOBERFEST-Masche. Du sitzt in der Vierer-Gruppe im Hot-Whirl-Pool und wägst Dich in Sicherheit und lässt unvorsichtig geworden einen Begriff wie "Weizenbier” oder “mein geliebter Schweinebraten" fallen, als Dich blitzschnell der nette unscheinbare Herr gegenüber anspricht und fragend ein unbedarftes "Germany?" in den Raum stellt. Wenn Du jetzt nicht auf der Hut bist und Deine Herkunft verleugnest wird er Dir von seinem Opa erzählen, der wie jeder amerikanische Opa entweder in Heidelberg oder zumindest auf dem Oktoberfest geboren wurde und den es nun unverzüglich zu besuchen gilt. Der großen Überraschung wegen und so. Selbstredend hat Opa rein zufällig auch einen wunderhübschen Hintergarten.
(Bild links: Egal, ob die "Heidelberg/Oktoberfest- Masche" oder die "Vertrauen Sie mir-Tour" angewendet wird - man landet grundsätzlich in obskuren Hintergärten..... )
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Die VERTRAUEN-SIE-MIR -ICH-VERKAUFE-KEINE-AUTOTEILE-Masche Du stehst auf dem Schrottplatz und schießt gerade einen Schnappschuss, als ein junger Mann dich anspricht und wissen will was das für eine tolle Kamera sei, und wieviel du dafür bezahlt hast? Du zuckst mit den Achseln und nennst ihm irgendeine Zahl, worauf er seine Brieftasche herausholt und behauptet, dass er sie dir gerne abkaufen würde! Du lächelst (erster großer Fehler) und sprichst auch noch mit ihm (zweiter nicht mehr zu behebender Fehler) und erwiderst auch noch: "Nein, danke". Selber Schuld, denn in den darauffolgenden Tagen wird er immer wieder und unvermittelt auftauchen. Beim Frühstücken z.B. winkt er Dir durch die Glasscheibe zu oder er hilft Dir an der Tankstelle beim Spritzapfen, bis Du schließlich völlig entnervt klarstellst, dass die Kamera wirklich nicht zu verkaufen sei und höflich, aber bestimmt, ein "Etz hau endlich ab!" hinzufügst.
Doch das ist sein Stichwort. "Möchten Sie dann nicht wenigstens einen Blick auf meinen gepflegten Hintergarten werfen. Völlig unverbindlich, verstehen Sie? Und wenn Ihnen dort was gefallen sollte, ist es auf jeden Fall besser und billiger als woanders. Ehrlich! Außerdem können Sie gerne mit Ihrer goldenen Mercedes-Card bezahlen."
Doch die perfekteste Tour von allen ist die
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ICH-HABE-NUR-SELTENE-TEILE-JUNGS-ABER-ICH-VERKAUFE-EUCH-NICHTS-
Masche die speziell von Pagoda Earnie angewendet wird.
Pagoda-Earnie***:
"Gammon my fränds. Luck ätt all my Mäcädäs Patts. I gotta lottalott wondäfull Mäcädäs dings!" (was so viel heißen soll wie: Folgt mir Jungs, ich habe mercedesmäßig alles was Ihr braucht. Ich bin der Herr der Mercedes-Dinge)
*** In diesem Kapitel sollten zum besseren Verständnis die englischen Sätze (wie in der deutschen Sprache üblich,) so ausgesprochen werden wie sie geschrieben wurden.
Dies hilft ungemein den arabisch-amerikanischen Slang (MIDDLE-EAST) anschaulich nachzuempfinden.
Dann führt Dich Earnie mit seinem netten einladenden Lächeln in seine Heiligtümer. Stets gefolgt von Troja seiner rechter Hand. Vorher sollte ich vielleicht noch auf den Umstand hinweisen, dass Earnies Lagerhallen, bzw. deren Kapazitäten, einem gewöhnlichem Kaufhaus in der Größenordnung von Karstadt oder Hertie entsprechen. Ganz zu schweigen von dem großangelegten Hinterhof, auf dem Pagoden so selten anzutreffen sind, wie Fliegen im Kuhstall (siehe Bild). Ich kann zwar nicht mit Sicherheit sagen, wieviele Hallen es wirklich waren und wieviele Kilometer dreistöckige Schwerlastregale sich dahinter verbargen, ich weiß nur dass Meister Algebra den geometrischen Scheitelpunkt, der nur im Unendlichen tangiert wird, dort gefunden haben muss. Doch zurück zu Earnie.
Earnie watschelt als Vorhut und deutet mal nach links und säuselt "Mäcädäs" und blickt nach rechts und krächzt "Mäcädäs", während die Nachhut (stets Troja) "alottalottalott" in die Regale haucht. Die kauffreudige Mittelschicht indes trabt vollkommen betäubt von Chrom und Blitz hinter Earnie und vor Troja her und lauscht vollkommen benebelt dem suggestiven Mercedes-Swing.
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Wie schon gesagt, diese Masche ist wohl die Härteste von allen. Zumal wir uns erst am Anfang des Spiels befinden, denn der Köder beißt wie üblich an anderer Stelle. Wenn Du jetzt denkst, dass Earnie Preise aufrufen wird, die gegen alle Spielregeln der Kaufmannszunft verstoßen würden, hast Du weit gefehlt, mein Freund. Denn der Punkt ist, dass Earnie Dich erst gar nicht mitspielen lässt. Ich kann Euch sagen, die Masche war uns völlig neu. Thomas hatte sich vorsorglich schon die langen Kniebeinschoner für die bevorstehenden Preisverhandlungen übergestülpt, als Earnie ohne jede Vorwarnung das Marschlied änderte und plötzlich etwas wie "Batt I donnt säll, anydings, my fränds" verlauten ließ, worauf die Nachhut umgehend reagierte und unisono von "AlottaIottaIott" auf "oohbädoohbädoohbäd" umschwenkte.
Ab diesem Moment war Earnie bei Thomas unten durch. Ein dickes "Ich mag Dich nicht" zog sich quer über seine Stirnrunzeln, während Earnie unaufhörlich und monoton die Unverkäuflichkeit seiner vor Raritäten strotzenden Regalreihen beteuerte. Ich sag Euch, die Stimmung war völlig hinüber.
Bild links: Bei Earnie: Eins von hundert Regalen
Ich hatte so eine ähnliche Situation schon einmal durchgemacht. Damals war ich sieben. Ich war als Brautjungfer für irgendjemands Hochzeit engagiert worden. Mutter hatte mich ausstaffiert, mit Blumenkörbchen und so, und zum Stillhalten und Artigsein bekam ich noch ‘ne Tüte Reiskörner, die ich zum Schluß in das Hochzeitsauto schütten sollte.
Als die ganze Aktion endlich vorbei war (es dauerte Stunden) und ich mich auf den Weg machte, wie versprochen das Auto zu versauen, zog mich der Chauffeur der Nobellimousine kurzerhand beiseite und flüsterte mir freundlich lächelnd ins Ohr, dass er mir jeden Finger einzeln brechen würde, sollte ich versuchen, auch nur ein verdammtes Reiskorn auf seine Ledersitze zu werfen.
Ich habe daraufhin den Reis ins Papas Auto gestreut, woraufhin man mich familienseits als den egoistischen Vollpfosten hinstellte und jahrelang kein Wort mehr mit mir sprach. Glaubt mir, ich habe diese Finte bis heute noch nicht verwunden.
Bild rechts: Thomas vergrub sich mental in den Regalreihen
Thomas musste in seiner Kindheit ähnlich reingelegt worden sein, jedenfalls blieb er urplötzlich wie angewurzelt stehen und starrte stur und regungslos die Mäcädäs-Kartons an.
Während die Vorhut mit einem Teil der Truppe drei Gänge weiter den "I donnt säll anydings"-Song trällerte vergrub sich Thomas völlig in den Regalreihen, indem er (die Hände hinter dem Rücken verschränkt) seinen Kopf einfach zwischen zwei Pappschachteln voller verchromter Heizungshebel steckte und in dieser Position verharrte. Troja (die Nachhut) stand leicht irritiert und abwartend neben der kopflosen Gestalt und versicherte nochmals mit einem "oohbädoohbädoohbäd", wie sehr er mit Thomas mitfühlen würde.
Ich weiß nicht, wie lange die beiden derart einseitig kommunizierend in den Gängen verweilten, jedenfalls standen wir schon längst wieder außerhalb der Mäcädäs-Dinge als Thomas mit entspannter Miene zum Rest der Truppe stieß.
Denn Troja hatte mitleidsvoll zu verstehen gegeben, dass wir samstags wiederkommen sollten, da Earnie am Wochenende nie anwesend wäre. Im Klartext: Am Samstagmorgen will Troja, die rechte Hand, seine linke Hand Earnie, ordentlich bescheissen.
Was wir nicht wissen konnten war, dass dies nur eine Variante der Ich-habe-nur-seltene-Teile-Jungs-aber- ich-verkaufe-Euch-nichts-Masche" ist und was Earnie und Troja nicht wissen konnte ist, dass sie sich mit vier prominenten Mitgliedern der westamerikanischen Shoppingliga eingelassen hatten.
Samstagmorgen - 09.00 Uhr - Let's go shopping
Punkt 09.00 Uhr morgens rollte unser alter Station-Wagen in South Gardena vor Earnies Fabrikhallen. Troja erwartete uns schon am Eingang und betrachtete mißtrauisch unsere verstaubte Schrauberkleidung und verfolgte mit Adleraugen jede Bewegung der unförmigen Werkzeugkiste, die wir keuchend und schwitzend über den Hof zerrten.
"For whot Du yuh nied dat ding, my fränds" wollte Troja wissen und Thomas beschwichtigte umgehend die rechte Hand Earnies mit den Worten: "Maybe, for a little wrecking in the backyard? Who knows?" Und schon trabte er zielstrebig und ohne Umschweife Richtung Eingangstor der Großraumlagerhalle und drängte Troja sich doch zu sputen. Dann ging´s ins Eingemachte. In die Regalreihen.
Innerhalb einer knappen Stunde hatten wir unser Hauptanliegen auf einen Haufen zusammengetragen. Wolfgang spezialisierte sich umgehend auf 108-er Extras und Radios, Jürgen sammelte 111-er Coupeteile zusammen, während ich mich für Flosse und Strich-Achter stark machte. Thomas garnierte abschließend den Teileberg mit Pagodenchrom.
Troja, der ungläubig und völlig sprachlos die galoppierende Regalplünderung verfolgte, starrte fassungslos auf den Teilehaufen, der sich im Lawinentempo vor seinen Füßen auftürmte. Ich glaube in jener Sekunde wurde ihm schlagartig der alles entscheidende Unterschied zwischen einem touristischen Einkaufsbummel und einer konzertierten En-Bloc-Abräum-Aktion bewusst, denn sprachlich konnte er sich weder auf ein "alottalottalott" noch auf "oohbädoohbädoohbäd" festlegen.
Um 09.43 schleppten Jürgen und Wolfgang bereits den Werkzeugkasten in den Backyard und kümmerten sich um die notwendige Hardware. Troja hielt es zwischenzeitlich für dringend angebracht zumindest Thomas im Auge zu behalten, denn irgendwer musste ja für die kapitalen Angelegenheiten zuständig sein, die augenscheinlich über Earnies Mäcädäs-Dinge hereinbrachen.
Das Backyard-Team arbeitete nach der gleichen Baureihengliederung wie in der Halle, nur, dass Jürgen aufgrund des 111-er Coupe-Mangels, sich der Pagodenfahrzeuge annahm.
Wolfgang und ich bauten gerade noch eine ansehnliche Sammlung Pontonsitzhöhenverstellungen aus als Troja völlig entnervt das Ende der Generalabschraubung einleitete und ein flehendes "Stop wrecking de Pagodas" in den Hintergarten japste. Während er aufgeregt durch die Schrottreihen sauste, krabbelten wir völlig verstaubt, aber chrombeladen, aus den Schrottfahrzeugen hervor und schleppten unsere Errungenschaften Richtung Ausgang.
Troja, mittlerweile klatschnass, stand völlig geistesabwesend inmitten des Schrottplatzes und beschwor alle Geister des mittleren Ostens und wisperte unaufhörlich "My Pagodas, stop wrecking de Pagodas" in die leeren Schrottreihen.
Die Verkaufsaktion hatte für Troja tragische Ausmaße angenommen. Eine artikelbezogene Einzel-Preisverhandlung war angesichts der rasanten Regalentleerung völlig unmöglich geworden und auf einen Räumungsverkauf hatte Earnie ihn offensichtlich nicht vorbereitet. Der Anblick der Teileberge bescherte ihm einen schlagartigen Schweißausbruch nach dem anderen. Thomas, der mit einem "alottalottalott" die Verkaufsverhandlungen eröffnete, musste Troja aus der Seele gesprochen haben, denn dieser stand mit einem gequälten Lächeln am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Der Rest der Truppe fing inzwischen an, die ersten Kartons zu verpacken und den Station-Wagen zu beladen. Die mathematischen Verrengungen die sich daraufhin hinter Trojas schweißnasser Stirn vollzogen, schienen den ganzen Körper in Mitleidenschaft zu ziehen. Ein regelrechtes Wechselbad an Gefühlen durchströmte sein sorgenvolles Antlitz. In Sekundenbruchteilen wich sein trauriges Schmollen einem nervösem Augenflackern, gefolgt von einem breiten Grinsen, welches regelmäßig in ein grimmiges Kichern mündete. Ab und an zuckten abwechselnd beide Augenlider, worauf er sich alsbald in die Hände klatschte gefolgt von einem lauten Schnalzen der Zunge. Dann verschränkte er wieder die Arme über Kreuz und ein kindliches Schmollen errang erneut die Herrschaft seiner Gefühlswelt. Wenn die Zahlenschlange der arithmetischen Ungleichung dann überhand nahm, konnte es sogar vorkommen, das Troja sein Gesicht für eine Zeit lang ganz abschaltete.
Thomas, der in sicherer Entfernung und nicht ohne mitleidsvoller Anteilnahme der Gesichtsfakturierung beiwohnte, wartete geduldig auf die Preisvorstellung seines Verhandlungspartners. Von Zeit zu Zeit zog es Troja vehement in die Hallen zurück, wo er sämtliche Regalreihen im Stechschritt durchwanderte und einer flüchtigen Sichtinventur unterwarf. Sobald er zurückkehrte verfiel der ganze Kerl wieder in jene mathematische Anstrengungen die seinen gesamten Körper umherbeutelten.
Mittlerweile hatten wir den ganzen Auftrag ordnungsgemäß verladen und harrten auf dem Besucherparkplatz gespannt der Rechnungsfindung. Wir lehnten entspannt an der Hecktüre des Pontiacs und betrachteten aus einiger Entfernung die Verfallserscheinungen des restlos verwirrten Teilemanagers. Von weitem erinnerte die Preisverhandlung der beiden verblüffend an das Schwanensee-Ballett von Tschaikowsky, nur dass der sterbende Schwan die Nummer in Sicherheitsschuhen und Baseballmütze aufführte.
Als Thomas eine Stunde später grinsend den 101-Highway Richtung Toluca Hills wählte, konnten wir unsere Neugierde nicht mehr länger zurückhalten und wollten endlich wissen, was Troja letztendlich gesagt hatte. "Alotpagodasoohbädoohbädoohbädoohbäd - was sonst", antwortete Thomas.
Rückreise über Los-Angeles - Amsterdam - Nürnberg.
Der Einkaufstrip mit veränderter Crew hatte einen völlig neuartigen Containerinhalt zur Folge. Neben dem gewohnten Angebot an Kotflügel, Stoßstangen und Türen machte sich diesmal die verstärkte Roseball-Flohmarkt-Präsenz bemerkbar.
In Deutschland groß im Kommen: Neonreklame amerikanischer Brauereien. Was Wolfgang, Kay, Jürgen, Thomas und Jessy erstanden hatten, war unglaublich. Fünf Neon-Bierzeichen, ein Flipper, sechzehn Campinglampen, drei Kaugummiautomaten, sieben Chromtoaster, sechs Waffeleisen, zwei Feuerlöscher, einen gußeisernen Ofen, eine Tanksäule, drei Staubsauger in Raketenform, eine Kneipenausstattung im Coca-Cola-Design, einen Karton gebrauchter Levis-Jeans, zwei Motorräder zweihundertundsieben Schallplatten und so weiter und so fort. Pfefferminzfarbene Haartrockner Seifenspender, Quirls und verchromte Zitronenpressen nicht mitgerechnet.
Heimreise: Übernachtung auf dem Terminal, denn wir blickten wie gewohnt wehleidig und wortlos dem Flieger hinterher, der, wie immer, ohne uns abhob. Als wir zwei Tage später total übernächtigt in Amsterdam eintrafen, zeigte der Windmesser zu allem Überfluss auch noch starken Gegenwind an. Der Cityhopper war auch noch restlos ausgebucht und alle sechzehn Flugpassagiere wurden vom Busfahrer einzeln auf die Rollbahn entlassen. In Einerreihen wurden wir vor der offenen Fahrertüre des Zubringerbusses postiert und angehalten, erst nach dem Startzeichen loszurennen, um so schnell wie möglich die rettende Reling der Falltreppe des Cityhoppers zu erhaschen. Als ich an der Reihe war, tobte draußen auf der Rollbahn ein unbarmherziger Sturm. Ich rannte in Schräglage, gegen die Windböen kämpfend, um mein Leben.
Angesichts der katastrophalen Wetterverhältnisse verzichtete die Stewardess auf ihre routinemäßige Notfalldemonstration. Stattdessen verteilte sie, aufmunternd lächelnd, staubsaugerbeutelähnliche Papiertüten an die zerzausten Fluggäste. Der Pilot versicherte per Lautsprecher nochmals, dass sich dieser Flug in nichts von anderen Flügen unterscheiden würde und ließ mit einem - klick, klacker, die klack, - den Anlasser in das Schwungrad einrasten.
Es kann nur meinen, grenzenlosen Optimismus zuzuschreiben sein, dass ich die innerliche Panik, die sich in Sekundenschnelle in mir breit machte, nicht aus mir herausschrie. Ich zog es vor, die mir verbliebene, mentale Kraft gleichmäßig auf beide Hände zu verteilen und verkrallte mich 76 lange Minuten in den Armlehnen des mir zugewiesenen Schleudersitzes. Ab Antwerpen machten wir zu allem Überfluss auch noch die Gesellschaft eines grandiosen Luftloches, welches uns netterweise bis nach Nürnberg begleitete. Als die Maschine endlich im Sturzflug auf die Nürnberger Landebahn klatschte, hatte ich beide Armlehnen aus der Verankerung herausgerissen. Noch während der Landung sprangen 14 Fluggäste in den Mittelgang, als hätte jemand ,,Feierabend" geschrien. Sie schleiften Flugkoffer, Mäntel, Reiseandenken und Kinder über die Rollbahn und fanden sich keuchend und nach Luft schnappend am Gepäckband ein. Ich wurde fast von einem Mann zu Tode getrampelt, der glaubte, das erste Gepäckstück auf dem Band als seines identifiziert zu haben. Er hätte wissen müssen, dass der erste Koffer niemandem gehört. Es ist nur ein Testkoffer, um allen Hoffnung zu machen.
Ich war noch immer kreidebleich. Thomas kümmerte sich verständnisvoll um mein Gepäck. "Geht’s noch?", wollte er wissen, "Ich schaffe es schon", erwiderte ich schwach.
Als ich das Schaffnerhäuschen schon halb passiert hatte, wurde ich von einem Zollbeamten beiseite gezogen. Man wollte tatsächlich wissen, ob die beiden stoffbespannten Holzteile Reiseandenken wären? Die Erinnerung holte mich ein und mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder zu Bewußtsein gelangte sprachen alle Beteiligten beruhigend auf mich ein und jemand löste vorsichtig Finger für Finger von den kostbaren Armlehnen, die man seitens der KLM zurückhaben wollte. Als man mich behutsam in den Strich-Achter von Alex schob, wollte ich eigentlich nur noch nach hause.
horst stümpfig